+ Singen belebt die Innereien
Ein weiterer Archiv-Fund - kennt die noch jemand? Jutta Wübbe alias Marlene Jaschke? Rezension, erschienen im Feuilleton der SZ, 24. April 2002
Saarbrücken. Suchend schweift ihr Blick durch die Reihen. Der? Oder vielleicht doch lieber „Herr Wolfgang“? Der adrette Herr Bernhard wäre auch nicht zu verachten ... Hauptsache, sie findet „Einen Mann, einen richtigen Mann“, und dafür ist sie extra nach Saarbrücken gereist, sie ist „Auf dem Weg zu Dir!“: Deutschlands bekannteste Sekretärin und stolze Wellensittich-Besitzerin Marlene Jaschke. Die Uhr in der Congresshalle scheint am Montag rückwärts zu laufen, bleibt stehen in den 50er Jahren, bei Gummibaum und Nierentisch.
Was ist sie wieder schick, die Meisterin der linkischen Verlegenheits-Gestik! Schleifenbluse, beiges Kostüm im Midi-Schnitt, Kapotthut und Perlenkette, einreihig. Dafür hat sie zwei Handtaschen dabei, und man möchte wetten, dass sich in einer der Benimm-Knigge der Wirtschaftswunder-Ära befindet: Knicksen Sie höflich vor Ihrem Publikum, wenden Sie zum Schneuzen den Umstehenden den Rücken zu, ziehen Sie im Sitzen den Rock über den Knien straff. Klauben Sie Fusseln vom Vorhang, steht zwar nicht drin, aber auch das tut die Nostalgikerin, denn Ordnung ist schließlich das halbe Leben. Die andere Hälfte besteht aus komischer Verzweiflung und unerfüllter Sehnsucht nach trauter Zweisamkeit – da hilft nur Gesang, denn „Singen kräftigt die Bauchmuskulatur und belebt die Innereien.“ Und so singt sie, was das Publikum aushält, schmettert schnutenlippig ein Couplet nach dem anderen, durchwühlt nach Herzenslust die Operettenkiste, stöbert im schmachtenden Volkslied- und Schlager-Fundus und vergreift sich gar tolldreist an Opern. Eine mutige Botschafterin selbst gebrauter Poesie ist diese rundum liebenswerte Kunstfigur, mit der Comedy-Star Jutta Wübbe behutsam Prozesse weiblicher Selbstverwirklichung karikiert.
Eine wahre Ikone der sanften Emanzipation: bewusst in der Wahrnehmung und zielstrebig in der Durchsetzung eigener Bedürfnisse, und dabei von einer geradezu rührenden Naivität – einfach wunderbar, wie unschuldig Marlene ihre Atemübungen in Gainsbourgs Erotik-Stöhner „Je t'aime“ unterbringt. Ganz ohne Mann kommt die Dame mit der Bewegungsanmut einer rheumakranken Seemöwe allerdings nicht aus – aber der Tastenknecht am Klavier gehört ja zum bewährten Inventar einer One-Woman-Show. kek